Studiengebühren und Sozialverträglichkeit

An article published in SPIEGEL-EI edition2/2006, valid from 16.01.2006 to 29.01.2006.

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Jetzt kommen sie, die Studiengebühren. Zum WS 2006 in Nordrhein-Westfalen, nicht viel später in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Hamburg und dem Saarland. Studentenverbände und Studentenwerke sind weiterhin ausdrücklich dagegen. Sie befürchten, intelligente Abiturienten könnten dadurch vom Studieren abgehalten, die Schwelle zum Studium vor allem für Kinder aus einfachen Schichten unüberwindbar werden. Denn schon jetzt komme aus dieser Bevölkerungsgruppe zwar jeder Dritte bis zum Abitur, aber nur jeder Zehnte an die Hochschulen. Die schwarz-gelben und schwarzen Landesregierungen lassen sich indes nicht beirren: Mit Studiengebühren von 500 € im Semester sollen zwischen acht und zehn Prozent der gesamten Hochschulkosten von den Studenten aufgebracht werden. Durch Gebühren sollen die unterfinanzierten Hochschulen mehr Geld bekommen, vor allem aber soll – so die Befürworter – ein frischer Wind durch unsere hoch bürokratisierten und selbstzufriedenen Bildungsinstitutionen wehen.

Um diese generelle Gesundung des Hochschulwesens durch eine – erhoffte - veränderte Bewusstseinslage der Akteure zu erreichen, sollen alle Studierenden die neuen Gebühren zahlen – immerhin rund 83 € im Monat bei einem bisherigen Gesamtbudget von mindestens 600 € . Wer das nicht kann, weil die Eltern es nicht schaffen oder er selbst nicht noch mehr nebenher arbeiten kann, soll ein günstiges Darlehen der jeweiligen Landesbank aufnehmen können, das nach dem Studium längerfristig zurückzuzahlen ist. Allerdings: In zehn Semestern à 500 € wird so eine Darlehnssumme von 5000 € aufgehäuft, aus der mit Zins, Zinsenzinsen und Ausfällen bis zum Rückzahlungsbeginn leicht mehr als 10.000 € werden.
Und: BAföG-Empfänger, die voll oder mit mehr als 333 € im Monat gefördert werden, haben ohnehin schon eine – seit 2001 – gedeckelte Summe von 10.000 € zurückzuzahlen. Damit diese Personengruppe, immerhin rund 17 Prozent der Studenten, nicht (wesentlich) höher als bisher schon belastet wird, wollen die interessierten Länder einen Sozialbonus einführen, indem sie die Gesamtsumme der für BAföG und Landesdarlehen zurückzuzahlenden Mittel auf 15.000 € (Baden-Württemberg, Niedersachsen) bzw. auf 10.000 € (Nordrhein-Westfalen) begrenzen.

Mit diesem Rezept wollen die Länder die Studiengebühren „sozial verträglich“ gestalten. Der Aufwand für Zinszuschüsse und Ersatz für Ausfälle soll den Landesbanken über eine neu zu gründende Anstalt oder einen Fonds – meist aus dem Ertrag der Studiengebühren – ersetzt werden. Zwischen 6 und 23 Prozent der Gebühren werden dafür einkalkuliert, so dass sich der gebührenfinanzierte Anteil der Hochschulkosten zwischen 5 und 7,5 Prozent einpendeln dürfte.

An der „sozialen Tragbarkeit“ scheiden sich jedoch seit jeher die Geister: Nach Meinung der Promotoren können mit dem Darlehen gerade Studierende aus Elternhäusern mit geringerem Einkommen letztlich ohne zusätzliche Belastung oder nur mit einer „kleinen“ Extra-Last von 5.000 € die Gebühren zahlen. Den Gegnern ist auch das zuviel. Außerdem verweisen sie auf eine andere Gruppe von Betroffenen: Gerade Kinder aus der Mittelschicht, die nur teilweise oder haarscharf kein BAföG bekommen, deren Eltern aber häufig weniger als den vom BAföG berechneten Betrag zahlen (können) und die jetzt schon über Gebühr Studienzeit verlängernde Werkarbeit leisten, würden dann mit einer hohen Darlehensbelastung ihr Studium beenden und die berufliche Laufbahn beginnen – mit allen bekannten negativen Folgen für die soziale Auslese vor dem Studium, die Familiengründung und den Karrierestart. Weiter fragt man sich, wie die vom Verfassungsgericht geforderte Gleichmäßigkeit der Studierverhältnisse in Deutschland erreichbar ist, wenn z.B. in Niedersachsen „Beiträge“ verlangt werden, aber in Hessen weiter umsonst studiert werden kann. Muss nicht beispielsweise Göttingen befürchten, dann Tausende seiner Studenten an Kassel oder Marburg zu verlieren? Der Teufel steckt auch hier im Detail und im Grundsätzlichen. „Soziale Tragbarkeit“ von Studiengebühren lässt sich, wenn man es ernst nimmt, so leicht nicht erreichen.

Wie so oft, wenn man mit hausgemachten Rezepten nicht weiterkommt, lohnt ein Blick über den Gartenzaun: ins Ausland. In Österreich, dessen Hochschulwesen durchaus Gemeinsamkeiten mit dem deutschen hat, vor allem die zu hohe Studierdauer, wurden im Jahr 2001 ebenfalls Studiengebühren eingeführt – 360 € pro Semester. Dort hat man das Problem der sozialen Abfederung dadurch gelöst, dass die Studiengebühr als zusätzlicher Bedarf ins dortige BAföG einbezogen wurde. Wer bisher schon gefördert wurde, bekam entsprechend mehr, und wer zuvor knapp nichts bekommen hatte, wurde nunmehr in die Förderung einbezogen. Natürlich kostete das eine Menge Geld zusätzlich: etwa ein Fünftel der Einnahmen aus Studiengebühren muss dafür eingesetzt werden. Zudem ist man in Österreich konsequent, was die Anrechnung anderer staatlicher Leistungen angeht, und ordnet das Kindergeld dem elterlichen Einkommen zu, das für den Unterhalt des Kindes einzusetzen ist. In Deutschland hingegen verbleibt es für die BAföG-Berechnung seit der sonst so erfolgreichen Reform von 2001 als „freies“ Einkommen bei den Eltern. Warum, so fragt man sich erstaunt, führt man nicht auch hier eine Regelung über das BAföG ein, um Studiengebühren sozial verträglich zu machen?

Eigentlich liegt sie doch so nahe, dass man sich nur darüber wundern kann, dass dieses Modell bisher öffentlich nicht diskutiert wird. Mit einer großen Koalition im Rücken müsste sich doch auch eine Bund-Länder-Vereinbarung erreichen lassen: Wo Studiengebühren verlangt werden, kann der Studierende sie im Rahmen seines BAföG-Antrages geltend machen. Damit erhöht sich sein „Bedarf“, und er bekommt das an „BAföG“, was die Eltern nach der Berechnungsmethode des Gesetzes nicht aufbringen können, am besten wie bisher zur Hälfte als Zuschuss und zur Hälfte als Darlehen. Die „Deckelungsgrenze“ von 10.000 € könnte dann bestehen bleiben. Ob der zusätzliche Aufwand dafür wie die BAföG-Kosten sonst zu 65 Prozent vom Bund getragen wird, wäre auszuhandeln.

Auch die Regelung des anrechnungsfreien Kindergeldes könnte erneut auf den Prüfstand. Im Zweifelsfall müsste das jeweilige Land, das die Studiengebühren erhebt, die Zusatzkosten selbst tragen. Ein solches bundeseinheitliches Verfahren wäre transparent und ließe sich mit relativ geringem Verwaltungsaufwand und ohne neue Institutionen und Fonds umsetzen. Außerdem bliebe das Ziel von vergleichbaren Verhältnissen in der Studienfinanzierung erreichbar.

Und noch ein „ceterum censeo“: In den USA wird die Studienfinanzierung traditionell als ein Paket unterschiedlicher Finanzierungsarten verstanden und praktiziert. Es gibt Zuschüsse, Darlehen, Leistungen der Eltern und Beiträge der Studierenden selbst. Letztere bestehen vor allem darin, dass die Studenten hochschulnahe Arbeit in einem Umfang leisten, der das Studium nicht beeinträchtigt. Teilweise werden diese Tätigkeiten durch das „Work-Study program“ aus Bundesmitteln finanziert. Auch hier sollten die Länder zusammen mit Hochschulen und Studentenwerken gezielt überlegen, ob sie einen Teil der Gebühreneinnahmen für ein solches Programm einsetzen, das geeignet ist, soziale Klippen zu umschiffen.

Wenn ein Student nämlich 500 € Studienbeitrag pro Semester „abarbeiten“ müsste, wäre er damit bei einer Vergütung von 8 € pro Stunde insgesamt 62,5 Stunden pro Semester oder fünf Stunden in der Wochen beschäftigt.

Die Köpfe der Vorkämpfer für Studiengebühren haben in den letzten Monaten nach dem Karlsruher Urteil schon kräftig geraucht und mit der Idee der Landesdarlehen einen Vorschlag gemacht, der kurz vor der Einführung steht, aber durchaus zu Bedenken Anlass gibt. Nach meiner Überzeugung lohnt es – und es ist noch nicht zu spät dafür – über alternative Lösungen nachzudenken.

Von Dr. Rudolf Pörtner, Geschäftsführer des Studentenwerks Dresden und Vorsitzender des Ausschusses für Studienfinanzierung im Deutschen Studentenwerk (DSW). Der Autor vertritt hier seine persönliche Meinung.

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