Grillen aus Leidenschaft

Ein Artikel aus der SPIEGEL-EI-Ausgabe 11/2004, gültig vom 24.05.2004 bis 06.06.2004.

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Wer kennt ihn nicht ? den Geruch des Sommer-Samstag-Abend: Wenn man z.B. von der Autobahn kommend die Hansastraße fünf Minuten an Kleingärten entlangfährt, über denen sich dichte Schwaden von Qualm erheben, weiß man: Jeder Kleingärtner grillt. Ist (Ißt) man nicht gerade überzeugter Vegetarier, bekommt man Appetit auf Steak, Würstchen, angeröstetes Brot mit Knoblauch...Wenn die Pawlowschen Reflexe funktionieren, läuft Ihnen jetzt das Wasser im Munde zusammen. Verständlich, aber nicht nachvollziehbar, wenn dieser Reflex an dem ungünstigsten aller möglichen Orte sofort zur Tat führt: Grillen auf dem Wohnheimbalkon. So geschehen z.B. in den Wohnheimen St.-Petersburger-Straße und Wundtstraße. Vielleicht sollten sich die großen Grillmeister mal überlegen, dass nicht nur Nachbarn mit Geruch und Krach (wer grillt schon ohne Beschallung bzw. laute Unterhaltungen) belästigt werden, sondern im Falle eines Brandes im Hochhaus sehr viel mehr als nur Sachbeschädigung entstehen kann...
Vielleicht sind Grillparties auf Wohnheim-Balkonen eine Ausnahme, zur bitteren Realität für nichtgrillende Anwohner und für die Umwelt sind derartige Feste auf den Grünanlagen hinter den Wohnheimen Fritz-Löffler-Straße 12 und Zellescher Weg / Wundtstraße geworden.

Auf dem beigefügten Foto sieht man das erste Baumopfer, dass der tumben Unvernunft von Frischfleischessern zu verdanken ist. Offensichtlich gibt es ein neues Hobby unter den Studierenden und ihren geladenen oder ungeladenen Gästen: Grill auspacken, Grill-Ritual abziehen (möglichst geräuschvoll), Feuer halb ausgehen lassen und die noch heiße Grillkohle an den Wurzeln der Bäume in der Grünanlage verteilen. Dort liegt ursprünglich Rindenmulch, der von weitem so ähnlich aussieht wie Kohle und sich dadurch von ihr unterscheidet, dass er die Bäume zum Wachsen bringt und nicht absterben läßt.

Vielleicht sollten die Damen und Herren Grill-Studenten mal ein Seminar in Botanik belegen? Dann lernen sie, dass heiße Asche auf Baumwurzeln keine düngende, sondern eine tötende Wirkung hat.

Es ist für Anwohner n i c h t romantisch, wenn bis in die späten Nachtstunden gegrilllt wird, und es hat durchaus nichts Spießbürgerliches an sich, wenn der eine oder andere Mitmensch montags nach 22 Uhr keine megacoolen Eminem-Songs aus Auto-HIFI-Anlagen hören möchte. Dieses Thema gehört wohl eher ins Ethik-Seminar. Oder gibt es ein Menschenrecht auf Abwesenheit von Grilllgeruch? Führende Vegetarier kämpfen darum...

Gern würde ich mir einen Wunsch erfüllen und mal schnell zehn Jahre in die Zukunft reisen. Jene Studenten, die heute noch wild brutzeln, sind dann Mittdreißiger mit eigener Reihenhauswohnung und haben hoffentlich grillende Nachbarn, welche die vielleicht noch heiße Asche in Plastemülltonnen werfen und diese zum Abbrennen bringen, was wiederum wunderbare Gerüche hervorruft. Ob sich die ehemals romantisch grillenden Studies dann beschweren? Beim Vermieter?

Auch ein Traum des Autors: Ein Grill wird angemacht und einer/eine Student(in) geht hin und sagt: Dies hier ist auch mein Wohnheim und ich hätte gern, dass ihr nicht die heiße Asche in die Landschaft schmeißt und nicht die Boxen eurer Anlagen voll aufdreht und nicht nach 22 Uhr einen Höllenlärm macht. Gibt?s das noch: Zivilcourage?

Aber falls nur noch Dollarzeichen in den Augen leuchten: Es gibt auch ein wirtschaftliches Argument: Die Wohnheimbereichsleitung Zellescher Weg mußte eine Wachschutz engagieren, um der wachsenden Zahl von Beschwerden über mitternächtliche Parties am Grill Herr zu werden, was meinen Sie, was das kostet (Auswirkung auf Betriebskosten - es zahlen alle).
Beispiele für engagiertes Handeln gibt es aber doch: So meldete sich eine Studentin, die nach einer Feier heiße Asche in eine Mülltonne geworfen hatte (was das vorzeitige Ableben der Tonne zur Folge hatte) und bezahlte den entstandenen Schaden von ca. 300 ?.
Es ist ja nicht so, daß gar nicht gegrillt werden darf ? Verständnis für das Grillbedürfniss finden sich durchaus in den Aushängen des Studentenwerks: ?Eine generelle Zustimmung kann nicht gegeben werden...? ?Derartige Veranstaltungen (Grillabende im Außengelände) sind vorher beim Hausmeister zu beantragen.? schreibt die Abteilung Wohnen jedes Jahr aufs Neue. Voraussetzungen sind
- Einhalten einer zumutbaren Lautstärke,
- Sorge für Ordnung und Sauberkeit nach der Veranstaltung.

Aber wer liest schon etwas so Langweiliges wie eine Hausordnung oder Allgemeine Mietbedingungen, auch wenn sie Bestandteil des Mietvertrages sind...
Genießen wir also bei dem schönen Wetter weiterhin die Samstag-Abend-Düfte, wenn irgend möglich unter gesunden Bäumen.

Anja Buch

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