Wohnheim kann so schön sein…

Ein Artikel aus der SPIEGEL-EI-Ausgabe 22/2004, gültig vom 22.11.2004 bis 05.12.2004.

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Wäre Evelin Mühler Studentin der Sozialpädagogik, würde sie vielleicht noch in Reick in einem Plattenbau der Wohnungsgenossenschaft Süd leben. Dort könnte sie Feldforschung betreiben, das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen aus dem sozial schwachen Milieu betreffend. Weil Sie aber auf Lehramt (Französisch/Spanisch) studiert und weil dieses Studium sehr lernintensiv ist, zog sie es vor, ins Wohnheim Parkstraße 6 umzuziehen.

Warum? Am Anfang stand das Vorurteil. Das war im Sommer vorigen Jahres. Da kam Frau Mühler aus Riesa nach Dresden zum Studium an die TU. Von Wohnheimen hatte sie gehört, dass es dort laut, anonym, teuer und in jeder Hinsicht unaushaltbar sei. Also suchte sie sich aus der Zeitung einige Angebote von Wohnungsbaugesellschaften- und genossenschaften und landete schließlich in Reick. Platte teilsaniert. Das kann heißen, außen alt und innen neu oder umgekehrt. Bei ihr galt Letzteres. Das hätte sie auch nicht gestört, denn sie hatte sich genügend Möbel von zu Hause mitgebracht, um die Wohnung gemütlich einzurichten. 1.Stock, nach hinten raus, 35 qm, kleine Küche und Bad für 240,- EUR warm.

Klingt doch erstmal gut. Aber dann begann das Semester und mit dem Herbst wurden auch einige Mieter im Haus aktiv. In dem Sinne, dass immer am 1. des Monats viel Alkohol genossen wurde. Was Lärm bis früh um vier bedeutete. Schlechte Bedingungen zum Lernen. Wenn die „Alkis“ ihren Rausch ausschliefen, musste Frau Mühler zur Vorlesung. Wenn sie spät abends lernen wollte, wurden auch die Nachbarn munter und lieferten sich verbal eher nicht wiederzugebende Wortgefechte oder drehten die Musik auf eine Lautstärke, die der Standfestigkeit der Fertigwände einiges abverlangte.

Frau Mühler begab sich auf den langen Marsch durch die Instanzen. Reden mit den Nachbarn. Im Guten (nüchtern), im Bösen (die Nachbarn waren selten nüchtern). Der Freund und Helfer kam gelegentlich auf Anfrage, und dann gab’s auch eine (polizeiliche) Verwarnung. Die Wohnungsgenossenschaft wurde informiert, reagierte auf Beschwerden auch, minderte die Miete. Machte aber auch so gute Vorschläge wie: „Können sie nicht zum Lernen zu Freunden ausweichen?“ (!??) Aber der Krach blieb.

Bis zum Februar übte sich Frau Mühler in Geduld. Dann fiel sie durch eine Prüfung, weil Lernen wieder mal nicht möglich gewesen war. Damals beschloss sie, auszuziehen. WG in der Neustadt kam für sie nicht in Frage, denn sie hatte zwar Möbel, aber keine Lust, ihr Badezimmer mit zwei bis drei Leuten zu teilen.

Beim Studentenwerk erhielt sie die Auskunft, dass sie durchaus einen Wohnheimantrag stellen könne, es gäbe auch unmöblierte Zimmer, auch Einzelzimmer mit eigenem Bad, aber mit Gewissheit könne man erst im Sommer sagen, ob auch wirklich ein Zimmer zum Oktober frei werden würde. Frau Mühler kündigte am 21.Juli 04 auf Risiko ihre Wohnung in Reick. Am 10. August 04 erhielt sie vom Studentenwerk Dresden die Zusage, dass sie zum 01.Oktober ins WH Parkstraße 6 einziehen könne.

Da steht sie nun, auf dem Balkon im 12. Stock und mit Blick auf die Eisenbahnlinie nach Prag. Ein Zimmer, kleine Küche und eigenes Bad, insgesamt 27 qm für 180,- EUR.
Ist das nicht schrecklich laut, wenn nachts die Güterzüge vorbeirattern? Ja, bestätigt Frau Mühler, aber die Fenster schließen gut. Sie hat dieses Zimmer von Anfang an gemocht, kennt schon einige Studenten aus der Etage, zum Erasmus-Stammtisch in die Gutzkowstraße läuft sie kaum zehn Minuten, zum Campus fährt sie höchstens eine viertel Stunde, genauso wie in die Neustadt.

Keine Frage, diesmal wird sie in Ruhe lernen können für ihre Prüfung. Und was für sie einen wesentlichen Vorteil darstellt: Sie fühlt sich nicht mehr isoliert, sondern ist umgeben von Studenten, die etwa im selber Alter sind wie sie, ähnliche Interessen haben und kommt sich nicht mehr vor wie ein „Marsmensch allein in Reick“.

Info für andere "unmöblierte" Interessenten: Das Studentenwerk Dresden stellt insgesamt 240 unmöblierte Einzelappartements zur Verfügung, die meisten davon in der Parkstraße 6 (165), es gibt auch einige in der Wundstraße 9 (40) und in der Parkstraße 5 (30).

Anja Buch

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