Studiengebühren und Sozialverträglichkeit

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Nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes vom 26.Januar 2005 werden wohl schnell in einigen Bundesländern Studiengebühren eingeführt werden. Für den Anfang ist meist von 500 € pro Semester die Rede, aber manche unken, daraus könnten bald 2.000 oder gar 5.000 € werden. Mit dieser neuen Finanzierungsquelle sollen die unterfinanzierten Hochschulen mehr Geld bekommen, vor allem aber soll dann ein frischer Wind durch unsere verbürokratisierten und selbstzufriedenen Bildungsinstitutionen wehen, der Hochschullehrer und Studenten zu neuen Ufern der Erkenntnis treibt. Diese wundertätigen Studiengebühren sollen – darin sind sich alle Befürworter einig – im Prinzip von allen Studenten gezahlt werden und – wie es so schön heißt – „sozial abgefedert“ sein. Sie sollen so niedrig bleiben, dass sie (fast) jeder zahlen kann und trotzdem den Hochschulen viel einbringen. Oder wenn sie erst nach dem Studium fällig werden, sollen sie keinesfalls eine schwer erträgliche Hypothek für das beginnende Berufsleben darstellen. So äußern sich die, die die für Studiengebühren sind. Ob sie wissen, dass die meisten BAföG-Empfänger schon 10.000 € aus dem Darlehensanteil dieser Förderung zurückzahlen müssen, wird nicht klar.

Sozialverträglichkeit von Studiengebühren soll auf jeden Fall die Anzahl der Studenten auf dem jetzigen Niveau halten und die – allerdings schon ungleichmäßige – soziale Schichtung der Studentenschaft nicht weiter nach oben abrutschen lassen.

Rufen wir uns folgende Grunddaten in Erinnerung: Das deutsche Hochschulwesen kostet im Jahr fast 30 Milliarden €. Mit Studiengebühren von 500 € pro Semester, die unterschiedslos alle ca. 2 Mio. Studenten zahlen, kämen rund 2 Milliarden € als zusätzlicher Finanzbeitrag zusammen, immerhin (oder nur?) 6,5 % vom Gesamtaufwand Hochschulen. Für das Studenten-BAföG zahlen Bund und Länder ca. 1,4 Milliarden € im Jahr, für das Kindergeld für Studenten bringt der Bund ca.2,7 Milliarden € im Jahr auf. Der jährliche Rückfluss aus BAföG-Darlehen in der Vergangenheit spült rd. 500 Mio. € in die Kassen von Bund und Ländern. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit seinen öffentlichen Bildungs- ausgaben übrigens eher mittelmäßig da: Mit 4,6 % vom Bruttoinlandsprodukt liegen wir deutlich unter dem EU-25 Durchschnitt von 5,1 %. Über dieses Defizit wird aber trotz PISA wenig diskutiert.

Zurück zur „sozialen Abfederung“: Für den „Normalstudenten“ (ledig, Erststudium, außer- halb des Elternhauses wohnhaft) sind die notwendigen individuellen Studierkosten durch das BAföG garantiert. Er bekommt, wenn die Eltern die entsprechenden Mittel nicht haben, so viel wie ein Sozialhilfeempfänger, nämlich maximal 585 € monatlich, je zur Hälfte als Zuschuss bzw. Darlehen, davon wohnt und isst er, kauft er Kleidung und besonderen Studienbedarf, deckt den Aufwand für Transport, Körperpflege und alles andere. Platz für Studiengebühren, bei 500 € im Semester gut 83 € im Monat, ist da eigentlich nicht. Die soziale Abfederung „in concreto“ fällt schwerer, als man dachte. Vielleicht hat Bayern die Einführung der Studiengebühren deswegen erst mal um ein Semester auf den Sommer 2006 verschoben.

Schauen wir uns mögliche Lösungen an: Man könnte die BAföG-Empfänger – lt. 17. Sozialerhebung 25 % der Studierenden – von Studiengebühren freistellen. Dann entstünde kein soziales Problem, allerdings sänke das Aufkommen. Konsequenterweise müsste man dann die, die gerade kein BAföG mehr bekommen, weil die Eltern nach den gesetzlichen Kriterien zuviel haben, bis zur Grenze von 585 € plus 83 € , also 668 € ebenfalls freistellen, das wären noch einmal rund 15 % der Studierenden und ließe dann nur 40 % zahlen. In Österreich ist man übrigens diesen Weg bei der Einführung von Studiengebühren vor drei Jahren gegangen. Als real Zahlende stünden dann nur noch 60 % der Studenten, also ca. 1,2 Mio., zur Verfügung, was das Gesamtaufkommen – bei 500 € im Semester – auf 1,2 Milliarden sinken ließe.

Ein theoretischer Ausweg aus dem Dilemma könnte darin bestehen, dass man das Kindergeld für die studierenden Kinder – immerhin 154 € im Monat – das seit 2000 im Rahmen der BAföG-Berechnung nicht mehr als Einkommen der Eltern angerechnet wird und somit auch den Eltern von BAföG-Geförderten für direkten oder indirekten Mehraufwand ihrer Kinder zur Verfügung steht, in diese Überlegungen einbezieht und von der Anrechnungsfreiheit abrückt. Aber auch das wird man unter familienpolitischen Aspekten nicht als „soziale Abfederung“ bezeichnen wollen.

Eine andere Problemlösung stellen so genannte „nachlaufende“ Studiengebühren dar, die gerne als besserer Weg empfohlen werden, ohne dass man hier zu sehr ins Detail geht: Die Studierenden sollen erst nach erfolgreichem Studium zur Kasse gebeten werden und dann mit niedrigen Raten die Studiengebühren aus ihrem dann guten Einkommen „abstottern“. Wenn wieder von 500 € Gebühr pro Semester, also 1.000 € im Jahr und einem durchschnittlich fünfjährigen Studium ausgegangen wird, laufen 5.000 € auf, die – wenn die Hochschulen jetzt etwas davon haben sollen – vorfinanziert und mit Zins und Zinseszins sowie Ausfallraten – beim BAföG-Darlehen 30 % - sorgfältig kalkuliert werden müssen. Man kann wohl davon ausgehen, dass unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ein Rückzahlungsbetrag von 10.000 € wahrscheinlich ist. Es sei denn, die Länder oder der Bund – womit wohl kaum zu rechnen ist – springen den Banken mit Bürgschaften bei. Wenn diese Summe von allen Studierenden zu zahlen wäre, also auch von den BAföG-Empfängern, müssten diese, die schon mit 10.000 € aus ihrem BAföG belastet sind, insgesamt 20.000 € zurückzahlen. Die aus bildungs- und sozialpolitischen Aspekten erfolgte „Deckelung“ bzw. Begrenzung des Darlehens auf 10.000 €, eine Errungenschaft der Bulmahnschen „Reform“ der Ausbildungsförderung aus dem Jahr 2000, wäre dann dahin. Eine solche „nachlaufen-
de“ Finanzierung würde kaum das Prädikat „sozial verträglich“ bekommen.

Fazit: Es ist schwerer, als man auf den ersten Blick denkt, ein System der Sozialverträglichkeit von Studiengebühren aufzubauen, jedenfalls auf der Grundlage der zurzeit existierenden Lösung mit Kindergeld, BAföG, Elternfinanzierung und Werkarbeit. Man kann gespannt sein, welche Modelle die Länder präsentieren und in welchem Maße sie Einschnitte in das soziale Netz für vertretbar halten. Die gegenwärtige Balance zwischen öffentlichen Mitteln für die soziale Grundsicherung, Heranziehung von Ressourcen der Eltern und studentischer Werkarbeit bzw. nachlaufender Darlehensbelastung muss ggf. neu austariert werden, wobei die Spielräume, seien wir ehrlich, gering sind. Eltern und Studenten können kaum noch stärker herangezogen werden, wenn man es mit der Familienförderung ernst meint und den Studierenden Zeit fürs Studium lassen will. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel auch in diesem Politiksektor ab. Oder? Nach- und Mitrechnen werden die betroffenen Studierenden und auch die Studentenwerke mit Sicherheit.

Von Dr. Rudolf Pörtner, Geschäftsführer des Studentenwerks Dresden und Vorsitzender des Ausschusses für Studienfinanzierung im Deutschen Studentenwerk (DSW). Der Autor vertritt hier seine persönliche Meinung. (03.02.05.)

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